Profil

Gorden Richter

1960 geboren in Memmingen;
verheiratet mit Simone Richter;
vier Kinder

Lebenslauf

» Architekturstudium an der Technischen Universität Berlin Abschluss mit Diplom

» 02/1989 – 04/1992 Anstellung bei der gemeinnützigen Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft Berlin (GSW) in der Planungsabteilung

» seit 05/1992 als freier Architekt tätig

» Sommerseminar 1996 Assistent an der TU Braunschweig, Prof. Krusche, Institut für Entwicklungsplanung, ökologische Stadt- und Dorferneuerung

» seit 1999 Zweigbüro in Buxheim b. Memmingen

» Januar 2000 Umzug in neue Büroräume, Immentalstraße 4, 72406 Bisingen-Zimmern

» Architektenkammer Baden-Württemberg Nr.053868 seit 12.5.2011 als angestellter Architekt

Bürophilosophie

Mit diesem Aufsatz sollen etwas die geistigen Wurzeln meines Schaffens an Hand der großen Architektenpersönlichkeit Hans Scharoun erläutert werden. Ihr Gorden Richter

Geistige Energie im Dienste der Individualität Der Stein bestimmt das Bewusstsein (und ist es nicht der Stein, dann ist es das Design). Ob gestern Traditionalisten wie Paul Bonatz oder Vertreter der Moderne wie Egon Eiermann, ob heute Skyscraper-Stars wie F.O.Gehry, D. Liebeskind oder Kommerz-Hochbaumeister wie Helmut Jahn -, vorherrschend ist allemal die Ansicht, dass eine Stadt zunächst einmal aus bebautem Raum zu bestehen habe und erst dann ein Ort für Menschen sei. Die grassierende „Philosophie“ des „Pasta & Grappa-Urbanismus“, die uns weismachen will, dass wir alle in einem menschenfreundlichen globalen Dorf leben mit reich möblierten Fußgängerzonen und schick designten Fassaden, macht gern vergessen, dass Städte und Dörfer nicht zuerst durch ihre Bauten leben, sondern durch die Menschen in ihnen.

Hans Scharoun

Mit der „Forderung des Unvollendeten“, so schreibt der Bremer Stadtplaner Michael Müller, realisiere sich bei Scharoun im Umgang und Erleben der Architekturräume, „was im Grunde niemals vollendet werden kann, weil die Dimension der Zeit und der Handlung den Stillstand verhindert“. Panta rhei, alles ist in Bewegung. Helles Bewusstsein von der Relativität der Zeit und der Tatsache des „Nie-Fertigen“ ist deshalb auch nötig für Versuche, Stadträume für Menschen zu gestalten, indem Natur und gebaute Zivilisation sich gegenseitig in großer Offenheit nach vorn befruchten können.

Scharoun setzte sein Verständnis von einer identitätsstiftenden Stadtplanung und Architektur sowie sein Verstehen von Demokratie differenziert und offen in Gebautes um. Über die organische Modellierung des Raumes entwickelte er die Form. Die Kenntnis von den Bedürfnissen des Menschen und seiner Kultur bestimmten den Grundriss. Die Zusammenschau von Natur und Stadtplanung ergaben seine „Stadtlandschaft“. Scharouns Philharmonie steht als Beispiel für diese Haltung. Sie ist „große Architektur, der er rein aus ihren Zwecken heraus eine über das Funktionale reichende Sprache verliehen hat“, wie Theodor Adorno 1965 in seiner „Werkbund“-Rede sagte. Scharoun baute funktionell, dynamisierte dieses Funktionelle organisch aus seinem Wesensgehalt und entwickelte durch rhythmische Gegenkräfte eine neue Baugestalt.

Zeichnung von Scharoun

Wie anders aber dachten andere: „Die Mehrheit der Bewohner hat gleichartige Lebensbedürfnisse“, schrieb Walter Gropius, Architekt des Dessauer Bauhauses, schon 1927. Gropius war 1957 auch Mitgestalter des Berliner Hansa-Viertels im Tiergarten, einer elend einförmigen Schuhkarton-Architektur. Dieser fatalen Nivellierung im Bauen, die „der Masse Mensch“ vermeintlich gleichartige Bedürfnisse unterstellte und damit verschiedene Grundrisse, verschiedene Außenformen und verschiedene Baustoffe verweigerte, setzte Scharoun mit seinen Plänen für ein „Kulturforum“ im Herzen Berlins in den Sechzigerjahren eine sich individuell ausbreitende Stadt-Landschaft entgegen.

Das Prinzip der Freiheit als Grundlage einer noch offenen Entwicklung ist die zentrale Idee Scharouns. Offenheit, Lebendigkeit, Ausblick, Abkehr von der Starrheit des Fixiert-Perspektivischen, zergliederte Planimetrie, asyntaktische Räume sind Parameter Scharoun’schen Bauens, das nach den Zusammenhängen und Wechselwirkungen zwischen Form und Raum, welche die gebaute Umwelt ausmachen, und den soziokulturellen Ordnungsmustern fragt.

Scharoun war der rechte Winkel als ein Grundprinzip des Bauens keineswegs unbekannt. Aber die preußische Grobheit, mit der die rechten Winkelraster in den absolut glatten, sich nach außen verschließenden Fassaden exekutiert werden, ist ein abschreckendes Beispiel für zeitgenössisches Bauen. Scharouns Idee war es dagegen, Raum von innen nach außen zu entwickeln. Dabei leitete ihn beim Bauen die Annahme, dass ein übergeordneter Sinnzusammenhang besteht, der ihm eine ganzheitliche Betrachtungsweise eröffnete, die sich wiederum an den Prinzipien einer organhaften Natur orientierte. Seine „Formung des Erlebnisses zwischen Einzelwesen und Raum um uns“ will eine Architektur als „individuelle räumliche Erfahrungswelt“. Der „Raumbildner“ Scharoun ermöglicht es dem Menschen, sich einen Raum anzueignen, kognitiv und emotional. Seine zur Zeit „wieder entdeckte“ Architektur integriert nicht nur die städtebauliche Umgebung, sondern orientiert sich an den „Bewegungen der Menschen im Kontinuum des Raumes“ (die Scharoun-Biografen Kirschenmann und Syring). Unmittelbare leiblich-sinnliche Erfahrungsmomente werden mit den räumlichen Ordnungsmustern einer Kultur und Gesellschaft verknüpft.

Scharouns Umgang mit Architektur war geleitet von Ordnung und Freiheit, nicht ausschließlich individualistisch oder gar „expressionistisch“ wie manche meinen, sondern immer auch gesellschaftsbezogen, also in einen sozialen Kontext integriert. Seine Architekturtheorie war stark geleitet von Intuition: „Wir Architekten sind mehr von der Anschauung als von Begriffen umgetrieben. Wir können das für die Entwicklung Wesenhafte in konkreten Verwicklungen erspüren und zum Wirken bringen“ (zitiert nach Will Grohmann: „Zwischen den beiden Kriegen, Kunst und Architektur“, Berlin 1953). Anders als die an banaler Nützlichkeit ausgerichtete, schier brutale Stadtgestaltung am Potsdamer Platz mit ihrem hilflosen Verankerungsversuch in vergangenen Strukturen (kleine Straßen, wie einst, in jetzt gigantischen Häuserschluchten!) Scharoun sucht den Charakter, das Wesenhafte eines sozialen, politischen und geistigen Ordnungssystems herauszuarbeiten. „Alle Teilinhalte einer Stadt oder einer Gesellschaft“ bergen für ihn das „Ganze“, enthalten wie ein Keim „das Ganze, das Idee und Wirklichkeit umfängt“ (Peter Pfankuch: „Hans Scharoun“, Berlin 1974). Lebensbekundungen – hier Architektur als gefügige Applikation des materialistischen Zeitalters, dort Stadtgestaltung als Ausdruck adäquater Beziehungen zwischen Individuum und Gemeinschaft, zwischen gebauter und natürlicher Umwelt.

Die Symbiose von Landschaft und Stadt war ein Grundpfeiler von Scharouns „Stadtlandschaft“, die er in der ersten Städtebau-Ausstellung nach dem Krieg vorgestellt hatte. Dieses Konzept sah vor, das Gebiet am Südrand des Tiergartens in ein Spannungsverhältnis zur historischen Stadt östlich des Leipziger Platzes zu bringen. Die Einbeziehung der Landschaft stand dabei im Mittelpunkt, weil im Spiel ihrer Freiräume die Individualität von Gebäuden aufzuscheinen vermag. Alles andere als eine „idyllische Stadt im Grünen“ wollte Scharoun. Aber die Luft der Landschaft, das Klima eines Wasserlaufs, das Grün der Pflanzen – kurz: die Freiheit der Natur sollte sich fruchtbar auf die Individualität der darin erbauten Stadt auswirken und ihren organischen Wesensgehalt zum Leuchten bringen.

Der Mensch ist ein höchst gegensätzliches Wesen, hin- und hergetrieben vom Wunsch nach Bewahrung seiner Identität und der Vorstellung von seiner Veränderung. Kontinuität und Wandel sind anthropologische Konstanten, die auch in den städtebaulichen Reflexionen Scharouns eine Rolle spielten: „Der Geist stößt ins Unbestimmte vor, in eine neue Wirklichkeit. Die Seele sucht die Geborgenheit – auf dem Grunde unserer Wesenheit.“ (Pfankuch, ebd.) Diese geistige Haltung evoziert bei ihm die Erkenntnis, dass es unendlich vielschichtige, individuelle Ansprüche an das Bauen und Wohnen gibt und logischerweise ebenso viele unendliche Lösungsansätze. Scharoun interessierte es, sinnfällige Beziehungen zwischen Subjekt und Objekt zu finden und durch Bauen Grundlagen für Lebenssinn zu legen. Dabei spielte (angelehnt an Martin Bubers philosophisch-anthropologischen Aufsatz „Urdistanz und Beziehung“) das Begriffspaar „Distanz – Beziehung“, man könnte auch von Antipathie und Sympathie sprechen, in seinem Menschenbild eine große Rolle: Es bezieht sich auf das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft und ihren Bezügen im Raum. Die utopische Kraft seines Bauens speist sich aus dem Interesse an menschlicher Individuation und persönlicher Differenzierung in Stadt- und Architekturräumen, welche jederzeit die Überraschung der Freiheit ermöglichen. Um das zu erfahren, muss man sich zu einem Konzert in die Philharmonie oder Kammermusiksaal begeben.

Urtext von Klaus B. Harms überarbeitet von G. Richter